2002 - MEMORANDUM HALLENSIUM der GHB

MEMORANDUM HALLENSIUM

oder

WAS ES IN HALLE ZU BEDENKEN GILT

 

Der Markt ist der älteste und von Anfang an wichtigste Platz der Stadt wie bei allen alten Städten, das Rathaus neben der Kirche die wichtigste und die älteste Institution der Stadt.

Geschichtlich gesehen ist die Stelle, an der das Rathaus stand, gleichsam ein heiliger Ort, ein eigentlich unantastbarer, einmaliger Teil der Identität. Er ist ein Punkt der Unver­wech­sel­bar­keit über Jahrhunderte hinweg, und wirkt heute wie eine entstellende Zahnlücke im Gesicht der Stadt.

Es stellt sich auch hier wie andernorts in Städten mit großartiger Geschichte die Frage, wie gehen wir mit den mehr oder weniger willkürlich gerissenen Lücken an Orten um, deren verlorene Bauten zum Identifikationsbereich, zum Stadtbild gehören.

Gerade in einer Zeit, die Geschichte wenig achtet und meint dieser durch „Fortschritt“, durch „Modernsein“ entkommen und in eine vermeintlich „bessere“ aber doch gänzlich unbekannte Zukunft flüchten zu können, ist es unumgänglich, die besten Bilder, Bauten und Erzeugnisse einer tausendjährigen Kultur in die Zukunft mitzunehmen.

Über lange Zeit gewachsene Identität ist durch nichts zu ersetzen. Nur der, der weiß, woher er kommt, was ihn trägt, hat den rechten Maßstab, das rechte Bewußtsein seiner selbst.

Die Stadt ist das große Zuhause der Menschen, die in ihr leben, der Marktplatz die „gute Stube“ der Bürgerschaft. Das alte Rathaus mit der Ratswaage war darin das wichtigste welt­liche „Möbelstück“ und Erbe, in dem zu Zeiten der hallischen Universität auch die öffent­lichen Vorlesungen statt­fanden – eine Nutzung auf höchstem, geistigem Niveau, der Mitte der Stadt angemessen.

 

Liebe Ratsherrinnen und Ratsherrn von Halle,

es ist gewissermaßen Ihre Geschichte, um die es geht. Ihre Vorgänger aus vielen Jahrhun­derten verpflichten Sie, Ihren ureigensten (Stand-)Ort weiterhin heilig zu halten und ihn nicht der Mode des Zeitgeistes preiszugeben. Wahren Sie bei der Neubebauung des Grund­stückes den Maßstab der Geschichte, des Ortes und der Nutzung.

Entscheiden Sie sich für die das Ensemble der alten Bauten wieder vervollständigende histo­rische Bebauung an diesem Ort. Das Kaufhaus muß vom Platz zurückweichen und der Ge­schichte und der Bedeutung des Ortes Raum geben. Es ist keineswegs rückschrittlich, sich seiner Vergangenheit zu vergewissern und sie zur gelebten Wahrnehmung wieder sichtbar zu machen.

Opfern Sie den Platz auch nicht dem verständlichen, aber zu kurzsichtigen Bemühen um eine für das Stadtsäckel einträgliche Vermarktung.

In der Gesellschaft Historisches Berlin (GHB, sie hat heute, 11 Jahre nach ihrer Gründung über 1500 Mitglieder) hat uns blankes Entsetzen erfaßt, als wir die jüngsten Planungs-Vor­schläge für den Ort der Ratswaage zu Gesicht bekamen. Wir haben uns inzwischen vor Ort ein Bild von diesem Platz gemacht. Es ist uns nicht gleichgültig, was in anderen deutschen Städten geschieht, besonders, wenn sich dort dasselbe ereignet wie das, wogegen wir uns hier in Berlin wenden müssen. Wir leiden dann mit.

In diesem Sinne bitten wir Sie: Lassen Sie nicht zu, daß ein grobschlächtiger Klotz- und Klumpenbau zwischen die schönen alten eher zierlichen, fein gegliederten Gebäude gestellt wird. Läßt man einen Elefanten in einen Porzellanladen?

Lassen Sie sich von den Architekten und Planern, die nur Erfüllungsgehilfen und Dienstleister für den Bauherren sind, nicht vorschreiben, was Sie als Bauherr(in) für „modern“ zu halten haben. Modern ist nicht modern, nur weil es neu und Mode ist – es kommt auf die Qualität und den Maßstab an (nur die sind langlebig) und darauf, was der jeweilige Ort und die Geschichte verlangt.

Bewahren Sie Ihre schöne Stadt, die so wunderbare Zeugnisse großer Kultur noch immer hat, vor einer einmalig schlimmen Blamage, die kaum wieder gutzumachen wäre! Sie gäben damit auch ein wichtiges Zeichen für die Erhaltung vieler notleidender Altbauten in Ihrer Stadt.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Erfolg!

Für die Gesellschaft Historisches Berlin

Dr. Bernd Wendland

Architekt

 

(Unterstreichungen: U. Schröder)